Versuch einer Erklärung

Alle zusammen, eine hochkorrupte Bagage?

Dieser Eindruck mag vielleicht populär erscheinen, wird aber der Komplexität der Geschichte nicht nur nicht gerecht, sondern wäre auch falsch. Dass manchmal Banken und deren Mitarbeiter „Dinge drehen“ und dabei nicht immer gesetzeskonform vorgehen, entspricht den Erfahrungen des täglichen Lebens. Dass aber ein Staatsanwalt, der nebenbei Kinderbücher schreibt und sich gegen den Klimawandel engagiert, ein leitender Staatsanwalt, der sicherlich auch involviert war, zwei Richtersenate plus die Beteiligten am Zivilverfahren, eine offensichtliche und darüber hinaus noch ziemlich plumpe Straftat decken und allenfalls sogar vertuschen, ist wahrscheinlich mit Korruption, also dass diese Leute Geld oder sonstige Gefälligkeiten bekommen haben, nicht erklärbar.

Gedankliches Experiment

Machen wir ein gedankliches Experiment. Haken wir in dem Moment ein, in dem Staatsanwalt Melchhammer in seinem Büro mit den vom 3-Richter-Senat übersehenen Differenzen konfrontiert wird. Er tut das, was jeder anständig arbeitende Staatsanwalt zu tun verpflichtet ist. Er eröffnet sofort das vorher eingestellte Verfahren wieder. Er weiß auch, dass er über kurz oder lang gegen Brandauer, Madlener und Luger Ermittlungen aufnehmen muss. Wer die Vorgangsweise bei der Staatsanwaltschaft kennt, der weiß, dass allfällige Ermittlungen gegen vermeintlich „prominente“ Personen nicht einfach so durchgeführt werden. Das wird zuerst einmal nach oben gemeldet.

Die Mannschaft der Volksbank, angefangen vom Vorstandsdirektor über die drei involvierten Mitarbeiter bis hin zum Aufsichtsrat und Rechtsanwalt treffen sich mit dem Staatsanwalt, dem Leiter der Staatsanwaltschaft und wahrscheinlich auch dem Präsidenten und der Vizepräsidentin des Landesgerichtes. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Die Gesichter zeigen tiefste Betroffenheit. Zuerst einmal kommt das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben. Man hat diesen aber nur aus absolut hehren Motiven gemacht. Man wollte nur die Bank vor unberechtigten Forderungen schützen. Die wirklich nur minimalst „frisierte“ Aktennotiz sollte der armen Zivilrichterin helfen ein hieb- und stichfestes Urteil zu erlassen. Man weiß ja, wie idiotisch Obergerichte manchmal urteilen können und Banken mögen die ohnehin nicht. Genauso war es auch mit dem netten Brief vom Dr. Brandauer an den 3-Richter-Senat. Man wollte nur dem Gericht – im Sinne der Bank – unnötige Arbeit ersparen.

Und dann die Folgen, die wären doch entsetzlich, unmenschlich, ungerecht und überhaupt nicht verhältnismässig. Vier kreuzbrave Familienväter, die sich doch noch nie etwas zuschulden kommen hätten lassen, wären in ihrer Existenz, wenn nicht ruiniert, so doch ziemlich angepatzt. Man stelle sich bloss vor, ein vormaliger Bankrevisor muss beim XXX-Lutz Möbel ausfahren und der Rechtsanwalt muss umsatteln auf Unternehmensberater für Influencer.

Nach diesem mitleidheischenden Entlastungssermon schauen Bankleute und Rechtsanwalt treuherzig drein wie Dackel Waldi, nachdem er aus der Regenrinne gerettet wurde.

Nur kein Chappi-Verbot, ich mach’s wirklich nie, nie, nie mehr, großes Ehrenwort!
Bild dpa

Die gewichtigen Vertreter der heimischen Justiz und des Rechtsstaats im allgemeinen schauen betreten vom einen zum anderen. In den Augenwinkeln stauen sich die Tränen, humanistische Gefühle schwallen vom Herzen ins Hirn und dann sind sich alle plötzlich einig:

Gut gemeint, schlecht gelaufen

Dem geneigten Leser sei in Erinnerung gerufen, dass dasselbe Problembehandlungsmotto „nix sehen, alles vertuschen“ bereits bei der Testamentsaffäre die durchgehende Marschorder darstellte. Auch in diesem Fall wurden zuerst mehrere erfolglose Anzeigen in Verbindung mit Fortsetzungsanträgen eingebracht, bis die Sache einfach nicht mehr unter der Decke zu halten war. Die Zusammenhänge können im beeindruckenden Buch des ORF-Journalisten Gernot Hämmerle nachgelesen werden.

Man vermeint oder tut zumindest so als ob man einem „besseren“ Zweck – „man kann doch keine angesehenen Existenzen ruinieren wegen ein paar vertauschten Buchstaben“ – dient und vergisst dabei schlichtweg, dass erstens der Rechtsstaat auf der Strecke bleibt, zweitens, um den Deckel drauf zu halten Lügen und Willkür immer größer werden und drittens der öffentliche Aufschrei immer lauter wird.

In der geistigen Hybris, dass der kleine Bürger da unten einem gewichtigen Amtsträger ohnehin nie an den Karren fahren kann, geht leider auch die Erkenntnis verloren, dass es Leute gibt, die Zeit, Geduld und dazu noch die Fähigkeit haben, diese Dinge verständlich zu dokumentieren. Dazu kommen die digitalen Medien, die es sehr leicht machen, Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen und dort für lange Zeit zu behalten. In der Zeitung steht man heute, nächste Woche wird eine frische Sau durchs Dorf getrieben, das Internet verzeiht nie.

Und kommt dann noch die Einstellung dazu, dass man selber gegen jegliche Kritik sakrosankt ist und man als Amtsträger lieber den Kritiker verfolgt anstatt den kritisierten Missstand zu beheben, ist der Kollateralschaden, bei dem alle verlieren, perfekt.

Und was ist mit den ehrlichen Leuten in der Justiz?

Ein legendärer Wiener Polizeidirektor hat es einmal so formuliert:

„Es ist wirklich ein Trauerspiel. Geht ein Kieberer einbrechen, werden 99 seiner anständigen Kollegen von der Öffentlichkeit als Verbrecher beschimpft!“

Polizist, der einbrechen geht
Bild: free pic pixabay

Bei Richtern und Staatsanwälten ist das nicht anders. Einer stellt etwas an und alle anderen gelten dann in der öffentlichen Meinung als korrupte Bagage. Dieses Image hilft aber weder der Justiz noch den Bürgern, sondern führt zu Rechtslosigkeit. „Mani pulite“ (Saubere Hände) hiess in den 90-er Jahren die erfolgreiche Aktion der italienischen Justiz gegen Korruption in den eigenen Reihen. Eigentlich sollten die Ehrlichen und Anständigen dafür sorgen dass Hände sauber bleiben, anstatt krampfhaft und betroffen wegzuschauen.

Nachdem auch der zweite Fortsetzungsantrag abgelehnt worden war, wandte sich der Autor in einem persönlichen Brief an die Vizepräsidentin des LG Feldkirch, Mag. Prechtl-Marte, die er seit 40 Jahren kennt. Der Brief wurde geschrieben in der Annahme, dass es sich bei Frau Prechtl-Marte um eine integre und fähige Person handelt.

Auszug aus Brief an Richterin Prechtl-Marte


Da muss der Verfasser dieses Schreibens der Zivilcourage oder dem Rechtsbewusstsein der Frau Prechtl-Marte wohl zu viel zugemutet haben, denn sein Brief blieb leider unbeantwortet. Als Richterin, Vize- und wahrscheinlich demnächst Präsidentin des LG Feldkirch müsste es ihr doch ein Anliegen sein, die Integrität der Justiz hoch zu halten. Jede Richterin, die den Rechtsstaat hochhält und mit einem primitiv gefälschten Dokument hereingelegt wird, müsste eigentlich wie eine Furie auf den Betrüger losgehen.

Ich sag nix!

Frau Prechtl-Marte ist realistisch genug um zu wissen, dass die Theorie von den magisch mutierten Buchstaben blanker Unfug ist. Deshalb kann und will sie diese dem Rechtsuchenden gegenüber auch nicht vertreten. Sie schweigt aber auch, weil sie glaubt mit Rücksicht auf die Vertuscher nichts tun zu können. Sie hat vergessen, dass jene junge Richterin, die bei der Testamentsaffäre zusammen mit einem aufrechten Polizisten an der untätigen Staatsanwaltschaft vorbei ermittelte, das Vertrauen in den Rechtsstaat gewahrt hat und nicht all jene und davon gab es mehr als genug, die davon wussten und jahrelang wegschauten.

Frau Prechtl-Marte hat die Chance verpasst, den Richtern und Staatsanwälten, die ihre Arbeit ordentlich erbringen, voranzugehen und klarzustellen, dass es in diesem Land keine Gefälligkeitsjustiz gibt. Ihren ordentlich arbeitenden Kollegen und dem Image des Rechtsstaats tut sie damit leider keinen Gefallen.

Quis custodiet ipsos custodes?

Und wer bewacht die Wächter? Die Möglichkeit des freien Publizierens im Internet hat die Zeiten für Gesetzesbrecher im Anzug und Vertuscher im Talar schwieriger gemacht und das ist gut so. Wenn mehr Menschen sich gegen Unrecht wehren, dieses dokumentieren und veröffentlichen, dann gibt es ein Umdenken. Und wenn sich dieses Umdenken auch in bisher geschlossenen Gesellschaften breitmacht, in denen immer noch der Korpsgeist höher steht als Recht, Gesetz und Anstand, wird auch das Vertrauen der Öffentlichkeit entsprechend steigen.

Diese Geschichte ist nicht die letzte ihrer Art. Sie richtet sich nicht gegen den Rechtsstaat, ganz im Gegenteil sie plädiert für einen starken Rechtsstaat. Sie richtet sich aber konsequent gegen die Minderheit all jener, die den Rechtsstaat missbrauchen, negieren oder vernachlässigen.

Schwarze Schafe in der Justiz gehören entfernt und nicht weiß angemalt!
Bild quora.com